Wasser predigen und Wein trinken

Gerade in der modernen Führung nimmt die Bedeutung der Vorbildfunktion tendenziell zu

Jeder kennt ihn: den Chef, der mit hehren Idealen um sich wirft, bei sich selber aber ganz eigene Massstäbe ansetzt. Angesichts unverschämt hoher Abfindungen für erfolglose Manager sollte man etwas kritischer über Vorbildfunktionen nachdenken.

Vorbilder sind wichtig. Schon immer haben die Menschen Vorbilder gebraucht. Was noch in Kindheit und Jugend zur Vorlage von mustergültigem Denken und Handeln in Form von «vorbildlichen Helden» gereicht, wird später in der Welt der Erwachsenen durch all jene Autoritätspersonen ersetzt, mit denen wir uns im Laufe unseres Lebens konfrontiert sehen. Keine Frage, dass wir hierzu auch und vor allem die Vorgesetzten der täglichen Arbeit zählen. Zwar wird wohl kaum jemand seinen Chef auf die gleiche Ebene kindlicher Superhelden heben, jedoch registrieren wir bewusst wie unbewusst selbst die kleinsten Details des vorgesetzten Verhaltens. Nicht selten auf der Suche nach Fehlern und Abweichungen der idealen Norm zur Bestätigung der eigenen Mittelmässigkeit.

Und gerade dann ist der Sprung über die Grenzen der eigenen Moral mental schon einmal geebnet. Bei entsprechend fragwürdigem Verhalten des Vorgesetzten darf es dann eigentlich niemanden mehr überraschen, wenn sich irgendwann kein Mitarbeiter mehr mit gehobener Motivation und im Sinne einer gemeinsamen Vision engagiert und eigenverantwortlich für die Qualität seiner Arbeit und die seiner Kollegen einsetzt.

Hoher Anspruch

Vorbild sein ist anspruchsvoll. Spätestens an dieser Stelle wird die lern- und verbesserungswillige Führungskraft feststellen, dass ein wirklich vorbildliches Verhalten die Grenzen der üblichen Führungsausbildung schnell einmal sprengt. Dies erklärt sich aus dem Konzept der methodischen Führungsausbildung. Bekanntlich wird dort das grösste Augenmerk auf systemische Werkzeuge (neudeutsch «Führungstools») gelegt, welche man bei Bedarf wie einen Schraubenzieher aus seiner Werkzeugkiste holt, um diesen nach getaner Arbeit wieder dorthin zurückzulegen – kurz vor dem Weg in den Feierabend.

Wirkliche Vorbildfunktion aber ist Gegenstand einer wahrhaftigen weil authentischen Persönlichkeit, welche reich an Wissen, Erkenntnis und mit mit überzeugender natürlicher Weisheit ausgestattet ist. Alles Attribute, die sich nicht «mal eben so» an- oder ablegen lassen wie ein Arbeitsanzug und – was noch viel gravierender ist – sich nicht simulieren oder künstlich aufsockeln lassen. Und diese Attribute muss man rund um die Uhr leben!

Persönliche Entwicklung

Wer also als Chef die Qualität seiner Führungsarbeit durch vorbildliches Verhalten unterstreichen will, muss sich einer kontinuierlichen und zielstrebigen „persönlichen Entwicklung“ unterwerfen. Hierzu gehört nicht nur das Proklamieren bedeutungsschwangerer «Wertekonserven», sondern vielmehr die intensive Auseinandersetzung mit jenen Werten, die für die eigene Arbeit oder das eigene Unternehmen die Quelle des Erfolgs darstellen wollen und können. Fragen wie «Was bedeutet dieser Wert für mein eigenes Handeln?» – und die gelegentlich auch schmerzhaften Konsequenzen daraus – sie sollten zum täglichen Selbststudium in der Theorie und Praxis einer jeden Führungskraft gehören.

Nur so kann Überzeugung in und an der eigenen Führungsarbeit entstehen. Nicht nur würde dann viel weniger Wasser gepredigt und Wein getrunken werden, der Chef würde darüber hinaus noch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits erfüllt er in diesen Zeiten das erwähnte wachsende Bedürfnis nach Vorbildern und stabilisiert und erhöht dabei andererseits gleichzeitig auch noch nachhaltig den Erfolg seines Unternehmens.

Autor: Frank Goffin, Executive Head Coach
Publikation: KMU News 09 | 18 des Gewerbeverband Basel-Stadt